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Grundprinzipien der Hospizbewegung Gibt es Hoffnung - Doktor?
Die zwölf Rechte der/des Sterbenden Die Sprache der Sterbenden

            

         Grundprinzipien der Hospizbewegung          

 

Gibt es Hoffnung - Doktor?

Einführung

Ärzte und Patienten empfinden es oft als Niederlage, wenn das Leben eines Patienten nicht mehr gerettet werden kann. Die dabei entstehenden Fragen sind schwierig und unangenehm, sowohl für die Ärzte wie für die Betroffenen; die Patienten, Angehörigen und Freunde. Die meisten Menschen hängen sehr am Leben. Wir können traumatische Lebensphasen durchmachen, wir mögen zeitweilig deprimiert oder traurig sein oder schwere Herausforderungen vor uns sehen, es bleibt bei den meisten von uns wohl der starke Wunsch doch weiterzuleben. Der Gedanke an das Sterben ist einmal mit Vorstellungen des Qualvollen verbunden - zu anderen bedeutet der Tod für viele eine Einbahnstraße, auf der es keine Möglichkeit zu Umkehr gibt.

Die Kulturgeschichte ist reich an Belegen für Versuche, das Ausweglose des Sterbens, des Todes zu bewältigen, indem in irgendeiner Form eine Weiterleben nach dem Tode angenommen wird.

Eine weitere Änderung ist in unserer Gesellschaft zu erkennen. 1920 waren mehr als 50% der Verstorbenen Jünger als 20 Jahre, und die durchschnittliche Lebenserwartung war geringer als 49 Jahre. Heute kann ein Durchschnittsbürger erwarten, 80 Jahre alt zu werden. Mehr als dreiviertel aller Menschen sterben in Pflegeheimen, Altersinstitutionen oder Krankenhäusern, in den Städten mehr als 90%; 1920 starben mehr als 80% zu Hause. Seit 1920 hat sich die Anzahl der Krankenhausbetten versiebenfacht. Der Tod findet außerhalb der Familie statt, oft kann man das Gefühl bekommen, er findet überhaupt nicht statt.

Um so größer sind die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn ein Patient von schwerer, irreversibler Krankheit befallen wird. Wenn eine Therapie versagt, wenn ein Lebensweg durch einen Unfall oder eine plötzlich auftretende Krankheit beendet wird. Der Gedanke an den Tod ruft dann nicht nur bei dem Sterbenden und den Angehörigen Trauer, Schock; Wut, Verdrängung und eine Reihe negativer Gefühle hervor. Auch die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal werden nicht selten von ähnlichen Empfindungen betroffen. Das führt dann zu Konsequenzen, die oft zu beobachten sind:

       Der Arzt und der schwerkranke Patient  

Machen wir ein Gedankenexperiment:

Sie sind heute bei ihrem Arzt gewesen. Der hat Ihnen mitgeteilt, die letzten Untersuchungen haben ergeben, Sie sind schwerkrank. Sie haben aus dem Gespräch entnommen, daß für diese Krankheit keine Heilungsmöglichkeiten besteht. Ihre verbleibende Zeit ist sehr begrenzt. Wahrscheinlich bleiben für Sie nur Monate.

Was würden Sie tun? Was bleibt Ihnen vom Leben? Welche Werte und welche Möglichkeiten gibt es noch für Sie? Wie und wo möchten Sie Ihre letzten Tage verbringen? Wenn es keine Hoffnung auf ein Überleben auf dieser Welt gibt, welche Hoffnung gibt es dann für Sie? Würden Sie alles daransetzten, doch einen Strohhalm zu finden, doch eine noch unentdeckte Behandlung oder „Wundertherapie" durchzuführen? Auch wenn Sie dabei Ihr letztes Geld opfern müssen?

Tatsache ist, daß viele Ärzte bei lebensbedrohlichen Krankheiten sowohl über den Krankheitszustand wie auch über den Krankheitszustand wie auch über die Konsequenzen nicht offen reden, weil sie den Kranken vor der Wahrheit in Schutz zu nehmen meinen müssen. Solche Gedanken können angebracht sein. Sie dienen freilich oft nur dem Schutz des Arztes selbst, der nicht vorbereitet ist, möglichen Reaktionen des Patienten oder seiner Angehörigen zu begegnen.

Die Ärzte sollten es als eine Hauptaufgabe ansehen, jedem Menschen seinen eigenen Tod zu ermöglichen.

Es muß von einem Arzt auch die Einsicht erwartet werden, daß der Tod für die Schwerkranken eine Erlösung sein kann. Ein Weitertherapieren „um jeden Preis" wäre ein unethisches und unärztliches Benehmen.

Nicht selten wird bei sterbenden Patienten in der Finalphase ein Tropf aufgehängt. Viele Ärzte glauben, daß damit den Patienten etwas Gutes tun. Dabei deutet alles darauf hin, daß diese Annahme grundlegend falsch ist: Es ist äußerst selten, daß sterbende Patienten unter Durst leiden. Der in der Finalphase aufgehängte Tropf hat leider aber andere, für den Patienten folgeschwere Konsequenzen. Nicht selten werden diese Patienten dann, wenn die letzte Pneumonie oder das finale Herzversagen entsteht, unnötig an einer „Überwässerung" leiden, dabei kommt es vermehrt zu Sekret- und Schleimproduktion, wie z.B. beim „Todesrasseln". Dabei wiegt es vielleicht am schwersten, daß der Tropf ein Ersatz bleibt für eine notwendige, aber nicht stattfindende Kommunikation über den bevorstehenden Tod.
 

         Die zwölf Rechte der/des Sterbenden     

 

Aus: Kessler, David: Die Rechte des Sterbenden; Weinheim und Berlin 1997, Beltz Quadriga Verlag.

 

Wie schwer ist es zu sterben, wenn man nicht gelebt hat (Luise Rinser)

Sterben ereignet sich im Leben. Wenn einer lebt, stirbt ständig etwas in ihm. Wenn einer stirbt, lebt er immer noch! (Becker)

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden. Wohlan denn, Herz, nimm ‚Abschied und gesunde! (H.Hesse)
 

        Die Sprache der Sterbenden       

 Die Sprache der Sterbenden ist oft eine symbolische, d.h. man darf ihre Aussagen nicht so sehr „Wörtlich nehmen, sondern muß vielmehr auf den dahinterliegenden Sinn, auf die eigentliche Bedeutung, die hinter dem tatsächlich ausgesprochenen Wort steht, suchen. Dies ist oft schwierig, da wir hier plötzlich mit einer ganz anderen Kommunikationsebene konfrontiert sind als der, die wir in unseren täglichen Gesprächen gewohnt sind.

Am besten läßt sich diese Situation an folgendem Beispiel veranschaulichen. Die meisten von uns haben schon einmal Urlaub in einem anderen Land gemacht. Wenn wir dort angekommen sind, und manchmal auch schon während der Reisevorbereitungen, müssen wir uns einstellen auf andere Lebensgewohnheiten, andere Sitten und Gebräuche und auch auf eine andere Sprache oder zumindest auf einen anderen Dialekt. Dadurch ergeben sich anfangs einige Verständigungsschwierigkeiten. Es dauert einige Zeit, bis wir uns an die neue, noch ungewohnte Situation gewöhnt haben, und in der Lage sind, den anderen zu verstehen und uns selbst verständlich zu machen.

Etwas ganz ähnlich3es trifft auch auf Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu. Auch Sterbende sind sozusagen Reisende in ein fremdes Land, in dem eine andere Sprache gesprochen wird, die wir erst erlernen müssen. Die in dieser Sprache vorkommenden Symbole sind oft archetypisch, d.h. wir finden sie in Märchen, Träumen, Mythen und Psalmen wieder, die schon seit Jahrhunderten bestehen und in nahezu allen Kulturen gleichermaßen vorkommen. In diesen Symbolen wird oft das eigentlich Unaussprechliche, das, was in unserer Gesellschaft tabuisiert wird, wie bsw. der Tod, ausgesprochen. Um sie zu verstehen braucht man Zeit, Einfühlungsvermögen und die Kenntnis einiger grundlegender „Vokabeln und Redewendungen".

Im Folgenden sind dazu einige Beispiele und mögliche Interpretationen angeführt:

Sehr häufig sprechen sterbende Menschen tatsächlich von kleineren oder größeren Reisen, sie wollen bsw. wandern gehen und verlangen deshalb auch nach neuen Schuhen, wohingegen andere sich statt dessen lieber neue Reifen für ihr Auto wünschen. Sie wollen zum Bahnhof oder zum Flughafen oder sie sprechen davon, daß ihr Schiff bald abfährt. Oft kann man auch hören, daß die Koffer schon gepackt sind und das alles zur Abreise bereit ist. Manche Menschen verlangen auch Urlaubsprospekte, sie haben das Bedürfnis in den Süden zu fahren, in die Sonne, ins Licht.

Sehr häufig sprechen Sterbende auch von der Zeit. Man hört zum Beispiel Aussagen wie: „Ich habe eine alte Uhr, mit der ich die neue Zeit aber nicht mehr messen kann". Oder „Ich muß mir die Zeit nun neu einteilen". Zeit und Raum sind immer zwei wichtige Faktoren in diesen „scheinbar" verwirrten Bildern. Ein Grund dafür, daß der Faktor Zeit in der letzten Lebensphase eine so große Rolle spielt, könnte darin liegen, daß wir unser ganzes Leben lang eingebunden sind in ein Gefüge von Zeit und Raum. Menschen, die sich auf einen Abschnitt ohne Zeit und Raum zubewegen, greifen zum Schluß möglicherweise noch einmal sehr intensiv nach diesen ihren so vertrauten Prinzipien.

Häuser stehen in der Symbolsprache oft für den eigenen Körper. Beim Vorhandensein von Knochenmetastasen wird bsw. manchmal davon gesprochen, daß sich dieses Haus nun auflöst. Einige Menschen äußern auch den Wunsch, daß die Handwerker verständigt werden, damit „das Haus endlich renoviert wird".

Manche Sterbende wollen Briefe schreiben und damit eine Botschaft schicken, an sich selbst, an die nähere Umgebung und auch in die Ferne.

Viele Menschen sprechen auch von Geld, das in diesem Zusammenhang ein Symbol für Energie darstellt. Mit Geld kann man Nahrungsmittel einkaufen, Kleidungsstücke und viele andere Dinge und es repräsentiert so ein Stück Vitalität und Lebenskraft.

Oft wird auch von Büchern gesprochen, von Aktenordnern, die möglicherweise den Wunsch ausdrücken, seine Angelegenheiten noch aufzuschreiben, sie festzuhalten und vor allem zu ordnen, bevor man diese Welt verläßt.

Viele Aussagen beziehen sich auch auf den Begriff Heimat und darauf, nach Hause zu gehen, wobei „Heimkommen" in diesem Zusammenhang immer auch ein Stück „Heilwerden" bedeutet. Viele Menschen haben auch das Gefühl, in dieser anderen Welt bereits so etwas wie ein Heimatrecht zu haben, weil dort schon früher verstorbene Angehörige und Freunde sind, die man gern gehabt hat.

Oft wird auch von einem Tor und von Türen gesprochen, genauso wie von Schlüsseln, mit denen man das Tor aufschließen kann. Diese Schlüsseln können ein Hinweis auf das Transzendentale, das Spirituelle sein. Sie sind der Gegenstand, das Hilfsmittel, mit dem man den Weg in die andere Welt öffnen kann.

Viele Menschen beschäftigt in ihrer letzten Lebensphase auch die Frage nach dem Auftrag, den sie entweder in der Vergangenheit gehabt haben oder den sie noch zu erfüllen haben oder vielleicht auch der Auftrag, den sie anderen noch geben wollen.

Wenn Sterbende davon sprechen, daß sie sich verlassen fühlen, dann hat das manchmal weniger damit zu tun, daß sich wirklich kein Mensch um sie kümmert, sondern viel mehr damit, daß sie selbst diese Welt verlassen. Sie spüren bereits den Abstand, der schon da ist zwischen ihnen und den Personen, die sie umgeben, und sie wissen auch, daß sie den Sterbeweg ganz alleine gehen müssen.

Diese Beispiele zeigen, wie vielfältig die Symbolsprache der Sterbenden sein kann. Dazu kommt noch, daß diese Menschen oft sehr schnell von einer Kommunikationsebene zur anderen springen, d.h. in einem Moment befinden sie sich auf der Ebene der Symbolsprache und im nächsten Moment wieder auf der für uns „realen" Ebene. Das bedeutet, daß wir jedesmal, wenn wir als Begleiter verwirrt sind, von dem was der Kranke oder Sterbende sagt, wenn wir keinen logischen Sinn mehr in seinen Aussagen finden können, wir dies als Anlaß nahmen sollten, besonders genau hinzuhören, weil man diesen Wechsel von der symbolischen auf die reale Ebene und umgekehrt oft an der Stimme bzw. am Tonfall des Anderen erkennen kann. Wichtig ist an dieser Stelle aktives Zuhören, ein Aufgreifen der Aussagen des anderen, ein Eingehen auf seine Gefühle und ein genaues Hinhören wo sich bsw. die Stimme und die ganze Physiologie (Mimik, Gestik, Hautfarbe, Atmung usw.) ändert. Die Grundlage des Sprechens mit Sterbenden ist somit in erster Linie das Zuhören und Wahrnehmen! Wir sollten generell mehr eine Fragehaltung einnehmen, als die eines Beurteilers und versuchen zu ergründen, was der Betreffende eigentlich will. Wir müssen dem Sterbenden das Recht auf seine Äußerungen lassen und nicht mit rationalem Denken darauf reagieren, weil wir uns sonst auf einer ganz anderen Ebene befinden und damit den anderen in diesem Moment oft gar nicht mehr erreichen. Wir sollten uns auf der seelischen Ebene auf das Gesagte einlassen und dem Anderen dabei nicht die Hoffnung nehmen, in ihm aber auch keine Illusionen nähren.

Beachten sollten wir auch, daß der Sterbende uns hört, auch wenn er schweigen will oder muß. Sogar im Koma gibt es nur wenige Bereiche, wo man nichts hört und vor allem an der Schwelle des Todes können fast alle Menschen wieder hören. Das Sprechen mit dem Sterbenden muß auch nicht automatisch mit dessen Tod enden, man kann auch darüber hinaus noch vieles mit ihm besprechen und bereinigen. Man kann dem Verstorbenen auf die für einen selbst sinnvollste Art und Weise Dinge übermitteln, die man vorher noch nicht bereden konnte oder wollte.

Zusätzlich gibt es noch einige Dinge, die man in der Kommunikation mit Sterbenden beachten sollte, wie zum Beispiel den Umstand, daß kranke oder ältere Menschen oft das ausleben, was sie in ihrem Leben sonst nie zeigen oder tun konnten. Das kann bedeuten, daß bestimmte Charaktereigenschaften, die man an dem Betreffenden gar nicht kennt, in der letzten Lebensphase plötzlich massiv zum Vorschein kommen. Wie der Betroffene mit seinem Sterben umgeht, hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, wieviel „ungelebtes Leben" er noch in sich hat. Scheinbar Versäumtes wird in der letzten Lebensphase oft noch nachgeholt. Dinge, die man ein Leben lang weggeschlossen hatte, kommen plötzlich zum Vorschein. Sehr problematisch kann es auch sein, wenn ein Mensch das Gefühl hat, daß er gehen muß, bevor er richtig da war mit all seiner Kraft, oder bei sogenannten „Macher-Typen", also Personen, die es gewohnt waren, Zeit ihres Lebens immer alles in der Hand zu haben und zu kontrollieren oder wenn es noch sehr viele unerledigte, ungeklärte Dinge gibt. Das, was ein Mensch in dieser Situation in seinem Innersten nicht mehr ertragen kann, trägt er dann nach außen und wir als Begleiter müssen lernen, damit umzugehen. Drewermann meint in diesem Zusammenhang: „Wie sehr wir uns vor dem Tod fürchten hängt auch damit zusammen, wieviel Liebe und Liebesmöglichkeiten wir im Leben hatten".

Diese Aufzählung ist natürlich keineswegs vollständig und soll nur einen Einblick in die Vielfältigkeit dieser Thematik geben. Ich denke, jeder von uns könnte aus einer eigenen Erfahrung heraus noch etliche Dinge hinzufügen.

Am Wichtigsten ist aber meiner Meinung nach, daß jeder Mensch auf die Art und Weise stirbt, die zu seinem Leben paßt. Jeder braucht sozusagen „seinen eigenen Tod". Aus diesem Grund gibt es in der Kommunikation mit Sterbenden keine allgemeingültigen Regeln, die in jedem Fall anzuwenden wären, es gibt keinen grundsätzlich richtigen oder falschen Weg. Jeder Mensch ist einzigartig in seinem Leben und in seinem Sterben. Wichtig ist, daß wir für den Anderen da sind, wenn es schwer ist, aber natürlich auch dann, wenn es langweilig ist, wenn im Moment gerade überhaupt nichts passiert. Auch diese letzte Lebensphase verdient es, beachtet und geschützt zu werden.

Ich möchte dieses Schreiben mit einem von Inga Hermann zitierten Satz abschließen: "Der Tod ist der Horizont unseres Lebens und der Horizont ist immer nur das Ende unserer Sicht".




  last update: August 2001