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Basale Stimulation Gedanken über Generationenvertrag

Philosophie, Theologie, Religionswissenschaften

 

Welche ethische Herausforderungen erlebe ich im Umgang mit alten, kranken und sterbenden Menschen? Und wie stehe ich dazu.

 

Wohl viele alten Menschen empfinden die Übersiedlung in ein Pflegewohlheim als Einzug in die letzte Lebensstation vor dem Verlassen dieser Welt. Wie bewältigen nun diese Menschen den Einschnitt in die bisher geübten Lebensgewohnheiten im letzten Lebensabschnitt?

Es ist für mich als Pfleger in einem Pflegewohnheim ein beglückendes Ereignis, wenn ich in einem neu aufgenommenen Heimbewohner einen weisen und abgeklärten Menschen begegnen kann, der in Ruhe und Gelassenheit und vielleicht sogar mit Dankbarkeit auf sein gelebtes Leben zurückblickt. Der den Heimaufenthalt zwar nicht als optimale, jedoch als einzig mögliche Lösung der altersbedingten Probleme akzeptiert. Unausgesprochen verkünden mir solche Menschen diese Botschaft. Ich habe beizeiten schon gelernt, dass Altern ein beständiges Abschiednehmen und Loslassen müssen bedeutet.

Viele, oder wohl die meisten alten Menschen können nach meinen Erfahrungen die wachsenden körperlichen und sozialen Verluste, die das Alter unausweichlich mit sich bringt, nicht akzeptieren. Diese negative Einstellung überträgt sich auch auf den Heimaufenthalt.

Wenn sich die großen altersbedingten Einbußen – nicht mehr gut sehen, hören und gehen können – einstellen, versuchen alte Menschen ihr seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Das geschieht durch Flucht aus der Gegenwart in die Vergangenheit. Mit ihrem „inneren“ Auge sehen sie dann die Bilder aus der Kindheit und Jugend in kristallklarer Schärfe und erleben intensiv jahrzehntelang zurückliegende Erlebnisse. Das Heute und Jetzt wird ausgeblendet. Wenn psychogeriatrische Erkrankungen, wie Alzheimer und Parkinson, dazukommen, werden Pflege und Begleitung immer schwieriger. Für meine Begleitung solcher Menschen ist wesentlich: Sehr alte Menschen kann ich nicht zwingen, ihr Verhalten zu verändern, ich muss sie akzeptieren, wie sie sind, und mit viel Einfühlung pflegen und begleiten – bei nötiger Distanz und innerer Abgrenzung.

 

Das Alter bringt körperliche und soziale Verluste

Die Lebenserwartung der Menschen steigt zwar von Jahr zu Jahr, aber damit gehen Hand in Hand auch ein erhöhter Pflegebedarf und in vielen Fällen ein langer Leidensweg. Spätestens nach einer OSHF stellt sich die Frage nach dem Pflegewohnheim. Zwar besagt eine alte Lebensweisheit, dass man „alte Bäume nicht umpflanzen“ darf, doch alte Menschen müssen ihre ihnen oft seit Jahrzehnten vertraute, lieb gewordene Umgebung  aufgeben und sich in einer völlig neuen, ihnen fremden Welt zurechtfinden.

Alle noch so freundlichen Bemühungen eines Pflegheimes können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der alte Mensch entwürzelt fühlt, abgeschnitten von seiner vertrauten Welt, einsam und verlassen.

Der Mensch vermisst nichts auf der Welt mehr als ein Zuhause, seine Heimat.

 

Schwere Herausforderungen an das Pflegepersonal stellen aber die Belastungen eines Heimbewohners aufgrund unbewältigter Lebenskrisen und Lebensaufgaben.

Die Entwicklung der Persönlichkeit eines Menschen vollzieht sich kontinuierlich von der Geburt bis zum Tod. Jedes Lebensalter bringt bestimmte Aufgaben und hat seine eigenen Krisen.
 

1.     Stufe: Frühkindliches Alter: Die Aufgabe besteht darin, Vertrauen zu lernen. Misslingt diese Aufgabe, dann bleibt zeitlebens der bittere Nachgeschmack des „Nicht-geliebt-Werdens“.

2.     Stufe: Kindheit. Die Aufgabe besteht im Befolgen von Regeln und im Erlernen der Selbstkontrolle. Misslingt diese Aufgabe, so begleiten Scham, Schuldgefühle und Selbstvorwürfe diese Menschen.

3.     Im Jugendalter seine eigene Identität zu finden. Unsicherheit, unklares Rollenverhalten bleiben, wenn diese Aufgabe misslingt.

4.     Im Erwachsenenalter: Intimität lernen und Verantwortung für die eigenen Gefühle, Erfolge, aber auch Misserfolge zu übernehmen. Isolation und Abhängigkeit sind die vorherrschenden Gefühle bei Misslingen dieser Stufe.

5.     Lebensmitte: Neue Aktivitäten entwickeln. Bei Misslingen dieser Aufgabe sind Stagnation und das Festhalten an überholten Rollen die Folge.

6.     Alter: Die letzte Aufgabe sollte sein, in Dankbarkeit und Freude über das eigene Leben Rückschau zu halten und zu resümieren und innere Stärke, aber auch Integrität gefunden zu haben. Ist dies nicht mehr möglich, so bleibt nur noch die Verzweiflung und der Gedanke: „Es wäre besser, ich wäre tot“, „Ich könnte ebenso gut tot sein!“

 

Im Alter beginnen die Säulen der Identität (Harmonie, Vollwertigkeit) zu zerbrechen. Alt, krank und hilflos zu werden, bedeutet den Verlust innerer und äußerer Werte. Das Fundament mit den tragenden Säulen unseres Daseins wird bestimmt durch:

 

Im Alter verkümmern diese Stützpfeiler völlig oder zerbrechen überhaupt. Wenn die Fundamente eines alten Menschen erschüttert werden, dann klammert er sich besonders stark an seine Erinnerungen und füllt die schon brüchig gewordenen Säulen seiner Identität mit Bildern aus der Vergangenheit, mit Geschichten und Übertreibungen, manchmal auch mit Wut, Zorn und Hass auf alles Lebendige auf. Nicht selten auch durch Schweigen und inneren Rückzug.

Das Wissen um die Säulen der Identität ist für die Begleiter und Pfleger der kranken alten Menschen von elementarer Bedeutung. Meine Einstellung und Haltung gegenüber den alten Menschen muss auf der Achtung und Wahrung der Grundwerte menschlichen Zusammenlebens basieren und diese Wertschätzung bedeutet:
 

 

Jene alte Menschen, die sich auf den Weg machen, ihr Leben langsam und schrittweise zu beenden, sind gefangen in einem Sterbe-Trauer-Prozess. Diese letzte große Aufgabe im Leben eines jeden von uns bringt verschiedenste Gefühlsregungen mit sich.

Sterbephasen:
 
1) Nicht wahrhaben Wollen,
2) Auflehnung, Wut, Zorn, Hass,
3) Verhandeln mit Gott und der Welt,
4) Depression,
5) Zustand der Annahme (wird nicht immer erreicht).

 

Ich habe auch die Feststellung gemacht, dass jene alten Menschen, die sich auf den Weg machen, ihr Leben langsam und schrittweise zu beenden, gefangen sind in einem Sterbe-Trauer-Prozess. Diese letzte große Aufgabe im Leben eines jeden von uns bringt verschiedenste Gefühlsregungen mit sich. Im letzten Lebensabschnitt sollten sich allmählich Ruhe und Gelassenheit und Annahme einstellen. Für die Begleitung gilt: Dasein und Mitsein, das Loslassen von allen sozialen Kontakten und den Rückzug des Sterbenden akzeptieren, auf letzte Wünsche (Priester) eingehen, einbeziehen der wichtigsten Bezugspersonen, Körperkontakt ermöglichen, Hand halten, Berührungen zulassen.

 

Ich will es nicht verschweigen, dass mich meine Tätigkeit als DGKP zu einer sehr persönlichen Auseinandersetzung anregt, mich meinen eigenen Lebensverlusten und Alterungsprozessen zu stellen. Jeden Tag, der zu Ende geht, bringt auch mich unwiderruflich ein Stück dem Alter, dem Abschiednehmen und Loslassenmüssen näher. Damit mein eigenes Alter als lebens- und liebenswert erlebt werden kann, muss ich schon ab der Lebensmitte (bin 40 Jahre jung) bestimmte Verhaltensmuster einüben. Ich selbst entscheide schon heute, ob ich später im Alter vereinsame oder Freunde habe.

 

Was mich in meinem Berufsalltag manchmal ethisch sehr herausfordert ist nicht die laufende Pflege der Heimbewohner, so schwer dies auch oft sein kann, sondern die Ursache dafür liegt im Folgenden: 

Was tun, wenn Todgeweihte auf ihren Wunsch zum Sterben beharren? Euthanasie / Sterbehilfe? Ist mit Recht verboten, weil dieser Begriff nur die verwirrende Umschreibung für „Tötungshilfe“ ist. Meiner Meinung nach heißt es da, mit allen Möglichkeiten der modernen Palliativmedizin und der gesamten Palliativ-Care das Leiden auf allen Ebenen zu lindern.